Ein Morgen in der Superbude duftet schon aus der Ferne: stolpert man verschlafen von seinem Zimmer die Treppe hinab in Richtung Kitchen Club, kann man schon den unnachahmlich glücklich machenden Duft des Waffeleisens erschnuppern. Immer der Nase nach landet man dann vor einem sehr superen Frühstücksbuffet, das nicht nur Kinderherzen vor Freude Polka tanzen lässt. Die selbstgemachte Superwaffel gehört für mich jedes Mal dazu.
Mit Puderzucker unter der Nase, Sonne im Herzen und nur wenigen Wolken am Himmel breche ich wieder auf. Zu meinen Hamburg-Zeiten bin ich hier nur Auto gefahren, dabei ist Hamburg schon ziemlich gut für Fahrräder erschlossen. Ich entdecke die Stadt heute tatsächlich zum ersten Mal auf zwei Rädern und eiere erstmal zu einem obligatorischen Zwischenstopp in einem portugiesischen Frühstückscafé. Hamburg beheimatet dank seines Hafens seit langer Zeit sehr viele Portugiesen, die die Stadt (nicht nur) mit ihrer herrlichen Frühstückskultur bereichern. Ein Pastel de Nata (kleine Blätterteigpastete mit einer himmlischen Vanille-Sahne-Füllung), ein Galão (Milchkaffee), ein frisch gepresster Orangensaft und ein gegrilltes Brötchen mit Serranoschinken – fertig ist das beste Frühstück dieser Welt. Wenn ihr in Hamburg seid, geht unbedingt bei einem Portugiesen frühstücken! Ich mit meiner Superwaffel im Bauch nehme nur einmal Pastel de Nata und nen Galão, dann geht’s mit noch immer lockerer Steckachse am Vorderrad in Richtung Fahrradladen Nr 1. Vergebens. Steckachsen hat man hier nicht auf Lager, aber bei Laden Nr. 2 müsste ich Glück haben. Laden Nr. 2 rümpft die Nase („neumodisches Zeug!“) und verweist mich an Laden Nr. 3 in Altona. Dort die gleiche Situation („nix vorrätig“), aber immerhin die Beruhigung, dass hier nichts plötzlich in Einzelteile zerfallen dürfte. Ich bestelle fix am Handy ein Ersatzteil und lasse es sicherheitshalber 5 Hotels oder Tagesetappen später liefern.
Von hier aus steuere ich zielsicher die Landungsbrücken an, folge dann der Elbe, durchquere die HafenCity, passiere das „Deutsche Zusatzstoffmuseum“ (vom Spiegel als „renitente Transparenzoffensive“ tituliert), vorbei am Holiday Inn Hamburg-Elbbrücken (hallo Alexandra!) über das Sperrwerk Billwerder Bucht auf die Elbinsel Kaltehofe, dann weiter an der Norderelbe und über die Dove-Elbe (ein alter Elbarm), immer auf Radwegen über Felder bis zum Zollenspieker Fährhaus. Dort geht’s auf die Elbfähre.
Mein Tagesziel ist heute nochmal in komfortabler Entfernung, genauer: in Dahlem. Hier wohnt mein alter Freund Bernd, den ich seit meiner Hamburg-Zeit nicht mehr gesehen habe. Er war damals ein großer Werber aus alter Schule (S&J, S+F, JvM) und eines meiner prägendsten beruflichen Vorbilder. Ob ihm das so bewusst ist? Ich weiß es nicht. Ich habe meine erste Zeit in Hamburg bei ihm in seiner Eppendorfer Wohnung als Untermieter gewohnt. Dort haben wir uns Scheiben vom ganzen Parmaschinken geschnitten, viel gekocht, Wein und Whisky getrunken. Seine Geschichten (z.B. die vom JvM-Filmdreh, bei dem der Hauptdarsteller, ein Audi RS4 Avant, das Nummernschild seines alten Rovers bekam, weil ja irgendeine Nummer dran sein musste, man aber nicht zufällig die Nummer eines Unbeteiligten nehmen wollte) waren für mich wie Geschichten aus 1001 Werbernacht. Er hat mir eine Welt eröffnet und mir vor allem unglaublich viel vermittelt, z.B. wie gute Werbung funktioniert oder wie man gute von schlechten Ideen unterscheiden kann. Wenn ich heute meine Kollegen mit den Worten „gar nicht mal sooo schlecht“ über den Klee lobe, dann denke ich in dem Moment an Bernd. In der Frage, was mal nach dem Agenturleben kommen kann, ist Bernd schon wieder ein Vorbild: er hat den Apple gegen Äpfel getauscht und in der Göhrde bei Hamburg eine alte Scheune bezogen. Dort dreht sich alles um den Apfel: angefangen hat es mit „Most of Apples“, seinem Apfel-Cider. Heute kocht er mit seiner Lebensgefährtin in seiner „Appleslounge“, einem kleinen Restaurant, mit Leidenschaft Gerichte, die sich irgendwie um den Apfel drehen. Der Apfel-Esser fällt nicht weit vom Stammtisch ins Bett: Zimmer gibt’s auch, sogar Bauwagen kann man mieten!
Ich bahne mir meinen Weg über Winsen/Luhe (den Abzweig in Richtung „Radbruch“ lasse ich gern aus) und Lüneburg, folge dann blöderweise der Bundesstraße 206 (es hätte schönere Strecken gegeben, wird mir Bernd später erzählen), werde aber immerhin irgendwann auf der Strecke von einem Google Streetview-Auto überholt und hoffentlich verewigt. Wahrscheinlich war ich nicht so fotogen, zumindest gibt’s bis heute keine Bilder davon auf Google Maps. Ich durchquere das Örtchen Dahlenburg, folge einer staubigen Piste, die über eine Brücke die Bundesstraße überquert und dann in dem kleinen Örtchen Dahlem mündet.
In der Appleslounge treffe ich zuerst Christiane. Sie erzählt mir, dass Bernd bei der Gartenarbeit ist. Irgendwie eine schräge Vorstellung, zumindest früher hatte Bernd mit all dem nix am Hut. Aber die Zeiten ändern sich, und damit die Menschen. Das Wiedersehen mit Bernd ist sehr herzlich. Ich habe das Gefühl, er – nein: die beiden – sind hier wirklich angekommen. Viele Dinge, die in Hamburg noch wichtig waren, sind hier bedeutungslos, und die beiden drehen hier mit Sicherheit ein kleineres Rad. Sie tun es aber mit viel Leidenschaft und haben sich hier ein wunderschönes Fleckchen geschaffen. Das alte Gehöft haben sie liebevoll saniert, im Garten an einem kleinen Teich stehen zwei apfelgrün angemalte Bauwagen, in denen man übernachten kann. In einem der Gebäude gibt es einige gemütliche Gästezimmer. Bernd zeigt mir meins für die Nacht und lädt mich für später zum Essen ein. Sein kleines Restaurant hat heute eigentlich geschlossen, das heißt: der einzige Gast bin ich. Es schmeckt hervorragend! Wir sitzen noch lange, reden viel, probieren seine Cider und noch so einiges mehr unter dem sternenklaren Sommerhimmel im Innenhof der Appleslounge. Und haben beide das Gefühl, dass wir an der Stelle weiterreden, an der wir vor um die 15 Jahren aufgehört haben. Ich war nur mal kurz weg.
Mit Rücksicht auf mein morgiges Pensum (125 km bis nach Hannover!) trinken wir zum Glück nicht alle Vorräte aus. Ich bin sehr froh, diesen Umweg über Dahlem gemacht und Bernd wiedergesehen zu haben. Und hoffe, dass es nicht wieder 15 Jahre dauert!