Der Morgen beginnt mit einem Date: ich treffe Anke Koch, die Hotelbloggerin der WBW-Hotels. Wir sind verabredet, sie will mich ein Stück mit dem Rad begleiten und mir noch ein paar schöne grüne Ecken zeigen. Apropos Bloggerin: das ist auch so ein Matthias-Ding. Die wenigsten Hoteliers trauen sich zu, einen eigenen Hotelblog ins Leben zu rufen. Manche Hoteliers tun es, schaffen es aber nicht über einen halbherzigen Auftakt-Artikel hinaus. Man kennt es: ein trauriger „hier berichten wir ab jetzt regelmäßig“-Artikel von vor zig Jahren, das war’s. Nicht so Matthias: er engagierte kurzerhand eine gut vernetzte Bloggerin, die seitdem für die Hotels und über die Region schreibt. Zahlt sich das aus? Schwer messbar. Zahlt es ein auf Gästebindung, hilft es neuen Gästen in der Inspirationsphase der Reiseplanung? Mit Sicherheit. Gerade bei „erklärungsbedürftigen“ Reisezielen wie Essen (sorry!) machen liebevoll geschriebene Artikel das Hotel schon vor der Anreise zu einem guten Gastgeber.
Ich bin mit neuer Achse und gepackten Taschen bereit zur Abreise. Anke schlägt eine Tour zum Baldeney-See vor – der liegt quasi auf dem Weg zu meinem heutigen Tagesziel Bensberg bei Köln. Schnell ein Abschiedsfoto vorm Hotel, dann geht es los: über ehemalige Bahnstrecken verlassen wir die Stadt, fahren entlang der Ruhr und erreichen bald unser Ziel, das so gar nicht nach dem aussieht, wie ich mir den Ruhrpott vorgestellt habe. Die Ruhr öffnet sich hier zu einem riesigen See, dessen Länge wohl in etwa dem Durchmesser der Stadt entspricht. Hier, nur wenige Kilometer vom Zentrum entfernt, ahnt man nicht mal, dass man sich in einer der am dichtesten besiedelten Regionen Deutschlands befindet. Wir umfahren den See, fahren entlang des Südufers, das uns jetzt den Blick auf eines der Essener Highlights freigibt: die um 1870 erbaute Villa Hügel im Essener Stadtteil Bredeney. So mondän wie das Weiße Haus oder eine römische Villa, liegt sie da, die ehemalige Familienresidenz der Industriellenfamilie Krupp. Beim Anblick des Bauwerks mit sage und schreibe 8.100 qm Wohnfläche, verteilt auf 269 Räume, bekommt man eine ungefähre Ahnung vom wohl unermesslichen Reichtum der Krupps. Heute ist das Anwesen in der Hand einer Stiftung, beherbergt auch die Kulturstiftung Ruhr – und kann besichtigt werden. Von mir heute leider mal wieder nur aus der Ferne. „Nächstes Mal“ sage ich mir, genau wie zur Zeche Zollverein, einem weiteren Grund, nach Essen zu kommen. Zum Abschluss unserer Tour gibt’s noch ein krönendes Joghurt-Eis garniert mit einem netten Plausch, dann trennen sich unsere Wege. Anke fährt zurück nach Essen, ich starte meine eigentliche Tagesetappe. Es war schön, nach all der Zeit mal wieder ein Stück zu zweit zu fahren!
Knapp 70 Kilometer liegen heute noch vor mir – das dürfte eine ganz entspannte Etappe werden, denke ich. Kaum wieder gestartet, werde ich eines Besseren belehrt: es wird bergig! Klar, vor mir liegt das Bergische Land, das ich bisher vor allem mit seinen gleichnamigen Waffeln (genau, die mit den heißen Kirschen, Vanilleeis und Sahne!) assoziiert hatte. Mir wird jetzt wieder klar, woher der Name eigentlich kommt. Kurz bevor ich die Straße wieder gegen eine ehemalige Bahnstrecke eintausche, begegne ich einem älteren Herrn mit Rollator, der mir fast applaudiert. Wir kommen ins Gespräch, ich erzähle ihm, welche Strecke schon hinter mir liegt und welche noch vor mir. Er erzählt mir, dass er vor gar nicht mal allzu vielen Jahren auch noch begeisterter Radfahrer war und von hier mit Zelt und leichtem Gepäck an die Nordsee geradelt ist. Ich mit meinem E-Antrieb und den komfortablen Hotelübernachtungen werde ganz klein. Er wünscht mir eine gute Fahrt und viel Spaß auf den Strecken, die jetzt kommen: jede Menge in Radwege umgewandelter stillgelegter Bahnstrecken. Es gibt wohl kaum eine bessere Nutzung dieser Strecken als für Radwege. Jenseits des Straßenverkehrs durchquere ich die Natur, genieße mal kühle alte Bahntunnel, mal herrliche Ausblicke – und immer freie Fahrt.
Irgendwann stehe ich vor dem Ortseingangsschild Wuppertal, das gleich zwei Erinnerungen in mir weckt: zum einen habe ich hier gemeinsam mit meiner Mutter nach unserer Ausreise aus der gerade noch so bestehenden DDR um den Jahreswechsel 1989/90 einige Wochen gelebt. Genauer: im Nachbarörtchen Schwelm. Im Weiterbildungshotel einer Berufsgenossenschaft hatte man kurzerhand DDR-Flüchtlinge mit Wunschziel Nordrhein-Westfalen untergebracht, weil die regulären Auffanglager voll waren. Wir hatten großes Glück, denn hier ließ es sich durchaus aushalten. Ich hatte hier eine Begegnung der unheimlichen Art mit den Verlockungen des anderen Deutschland: nach ca. 3 Wochen täglich Chips und Cola war ich – für mich total überraschend – vom dünnen Zahnstocher in Rekordzeit zur Speckbacke geworden. Wir zogen dann weiter nach Köln, ich trank weniger Cola und reduzierte auch den Chips-Konsum, zum Glück. Die zweite Erinnerung an Wuppertal hat mit Mario zu tun, einem Auto-Wahnsinnigen, den ich während meines Architekturstudiums in Aachen kennengelernt hatte. Er stammte aus Wuppertal, sein Elternhaus haben wir hier mal zusammen besucht. Mario sehe ich alle paar Jubeljahre mal – viel zu selten, aber wenn wir uns sehen, dann ist es, als wäre es erst gestern gewesen. Ich glaube, er könnte nach 3 Maß Bier und mit verbundenen Augen einen VW Käfer auseinander- und wieder zusammenschrauben, ist aber leider Architekt geworden, muss also seine karge Freizeit zusammenkratzen, um sich um seine 38 Autos zu kümmern.
Nach Wuppertal kommt Solingen kommt Leverkusen (noch fix ein Eis an der Tankstelle!) kommt Bergisch Gladbach kommt Bensberg. Meine Tour mit Anke am Morgen hat mich etwas Zeit gekostet, ich komme später an als gedacht. Mein Hotel heute: das wunderbar urige Malerwinkel Hotel, bestehend aus alten Fachwerkhäusern, die um einen kleinen Innenhof angeordnet sind. Jedes Zimmer ist anders, jedes ist sehr individuell, alle sind wunderbar liebevoll eingerichtet. Das legendäre Schloss Bensberg mit seinem Sterne-Restaurant Vendôme in Sichtweite. Begrüßt werde ich von Steffi, mit der wir schon viele Jahre zusammenarbeiten. Nach einem Kaffee im Schatten der Bäume im Hof schießen wir gleich das Erinnerungsfoto samt Spendenübergabe: das Hotel rundet auf, wir sind jetzt schon bei sage und schreibe 3.995,33 Euro! Auf meinem Zimmer gibt’s dann noch drei weitere Überraschungen: 1. mein Ladekabel für den GPS-Tracker ist da! Ab jetzt bin ich wieder zu orten! 2. ein großer Obstteller und ein sehr netter Brief vom Hotel! Beide Gesten freuen mich immer wieder unglaublich. 3. ein Gutschein für die sensationelle Mediterana-Therme gleich um die Ecke liegt auch noch dabei! Die Mediterana-Therme ist wohl eine der schönsten und größten Thermen in ganz Deutschland. Ich bin zwar müde, aber das lasse ich mir nicht entgehen. Wie im Flug, weil ohne Gepäck, düse ich die paar Kilometer zur Therme. Man wähnt sich hier in einer südlichen Oase – die weitläufige Anlage mit ihren unzähligen Saunen, Pools, Ruhebereichen und Restaurants ist ein wahres Juwel für alle Sauna-Fans. Das Malerwinkel Hotel ist dafür perfekt gelegen. Bucht euch und eurem Lieblingsmenschen ein Wochenende im Hotel, geht in die Mediterana Therme. Ihr werdet eine großartige Zeit haben. Ich habe nach dem Verlassen der Therme gar keine großartige Zeit: es regnet wie aus dem Nichts in Strömen. Komplett durchnässt komme ich wieder im Hotel an. Ich steige heute bei Picasso ins Bett (ihm ist mein Zimmer gewidmet) und schlafe sehr inspiriert ein. Nur Bergische Waffeln habe ich heute irgendwie verpasst.