Auf die heutige Etappe freue ich mich besonders – nicht, weil ich gleich nach den ersten Kilometern am romantisch am Rhein gelegenen Ex-Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich vorbei erschrecke, sondern weil ich kurz danach ins malerische Moseltal einbiegen werde. Die Mosel mündet am Deutschen Eck in Koblenz in den Rhein. Die von meiner Radel-App Komoot angebotene Strecke biegt allerdings schon etwas eher vom Rhein ab und kürzt so ein paar Kilometer ab. Für mich okay, denke ich, denn immerhin sind es immer noch 86 Kilometer, die vor mir liegen, und heute will ich eher genießen als Sport machen. Nach kurzer Zeit merke ich aber, dass ich heute die Rechnung ohne die dritte Dimension (Insider an Tom: Z-Index!) gemacht habe: die Abkürzung erkaufe ich mir durch grotesk steile Berge. Mit meinem Trekking-Rad versuche ich, im gefühlten 90°-Winkel über diesen Bergrücken zu kommen. Ich schnaufe, schiebe und fluche, wer sich wohl diese Strecke ausgedacht hat. An einer gelangweilt wandernden Pubertikelgruppe versuche ich möglichst respektabel vorbeizustrampeln. Erstaunte Blicke und Gekicher. Heftige Steigung, aber zum Glück kurz, und danach geht’s bergab ins Moseltal. Endlich.
Einer der ersten Moselorte auf meiner Strecke ist Winningen. „Hier hat aber jemand das Radio laut aufgedreht“ geht es mir durch den Kopf, als ich durch die urigen engen Gassen rolle. „Aber an jeder Ecke der gleiche Sender!“. Die skurrile Erklärung: Winningen hat seit 70 Jahren eine sogenannte „Ortsrufanlage“. Also ein Dorfradio. Hier gibt es allerlei wichtige Durchsagen und Bekanntmachungen. Man kann aber auch für 7 Euro eine Durchsage buchen: „Katze vermisst!“ oder „Suche Wohnung!“. Vielleicht auch „Wer das hört, ist doof!“ oder „Ihr habt sie doch nicht mehr alle!“. Mit über 200 Lautsprechern erreicht man garantiert jeden Dorfbewohner. Das Dorf ist ansonsten übrigens ganz urig und hat auch einige weinlastige Einkehren zu bieten. Zu früh für mich, ich muss noch ein Stück.
An der Mosel hat man das Gefühl, die Zeit geht hier irgendwie langsamer. Die Mosel schlängelt sich gemütlich durchs Tal, die Dörfer strahlen allesamt ein Gefühl der Ruhe und Gelassenheit aus. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich mit jedem Kilometer Frankreich näher komme. Wie man aber bei solch steilen Weinhängen so gelassen bleiben kann, erstaunt mich. Irgendwann sehe ich aber, dass sich die Mosel-Weinbauern abenteuerliche Bahnen in die Weinberge bauen, mit denen sie ihre Trauben ins Tal bringen. Da schlängelt sich eine Schiene den Berg hinauf, darauf eine Konstruktion mit Sitz und Transportkorb. Noch eine andere Sache fällt mir auf: jungen Weinreben wird eine leere Tetrapak-Packung übergestülpt, vorzugsweise der Marke „Hohes C“. Ich weiß leider nicht so recht, was der Grund ist. Soll das mit Alu beschichtete Papier die Wärme besser an der Wurzel halten? Soll weinfeindliches Getier ferngehalten werden? Oder trinkt man hier einfach so viel O-Saft und weiß nicht, wohin mit all dem Müll? Ich stelle irgendwann mal meine Frage für 7 Euro im Radio Winningen.
Damit man im ach so malerischen (echt jetzt!) Moseltal nicht an Verzückung stirbt, hat man sich hier und da lustige Ortsnamen überlegt, damit man zwischendurch auch etwas zu lachen hat. Kattenes, Löf, Hatzenport, Klotten sind nur einige aufheiternde Ansiedlungen. Auch das könnte ich mir vorstellen: Erst eine Flasche Moselwein trinken, dann für 7 Euro die schönsten Ortsnamen im Dorfradio aufsagen. Immer dabei sind neben den Weinhängen übrigens auch allerlei schöne Burgen (Burg Eltz und Burg Thurant z.B.). Irgendwann wechsle ich die Moselseite, irgendwann wechsle ich wieder zurück.
Mitten zwischen zwei Moselquerungen erreicht mich die Nachricht, dass unser lieber Texter und Freund Henning ebenfalls für unsere Aktion spendet. Er lässt sich nicht lumpen und macht 222,22 Euro locker. Großen Respekt und vielen Dank dafür! Wer übrigens mal einen richtig guten Text braucht, ist bei Henning Harms sehr gut aufgehoben!
Im Örtchen Klotten ist Schluss mit Romantik: „Moselradweg und Straße und alles gesperrt, keine Möglichkeit zur Durchfahrt!“. Entweder einen längeren Umweg durch die Berge oder ein paar Kilometer mit dem Zug fahren. Berge hatte ich morgens schon, ich nehme den Zug. Gemütlich zermalme ich einen Energieriegel Typ „Apfelstrudel“ und finde es sehr okay, ein bisschen Moseltal durchs Zugfenster zu genießen. Wenige Kieferbewegungen später sind wir auch schon an der Bahnstation Ediger-Ellinger. Jetzt trennen mich nur noch ein paar Kilometer von meinem Ziel, dem Örtchen Pünderich. Auf dem Weg dahin komme ich noch durch den Ort Alf (kommt auf die Liste mit den witzigen Ortsnamen). Ich beschließe, eine größere Moselschleife einzusparen, muss dazu aber nochmal einen Berg erklimmen. Auf der anderen Seite geht’s zum Dank dann aber durch Weinberge in Schussfahrt gen Mosel hinab. Ich bin so schnell, dass mich am Ortseingang des Örtchens Reil ein am Straßenrand lauernder Geschwindigkeits-Mess-Smiley mit weit aufgerissenen Augen anschaut und mir hinterherbrüllt (bilde ich mir zumindest ein). Wie schnell genau, kann ich nicht sagen. Ich bin mir sicher, wenn ich jetzt auf den Tacho gucke, lege ich währenddessen 500 Meter zurück und überfahre drei Winzer. Ich passiere nochmal die Mosel, biege links ab und bin am Ziel: das Hotel zur Marienburg in Pünderich.
Zu den Hotels an der Mosel muss man sagen: die meisten von ihnen sind eher gemütlich bis leicht angestaubt. Man könnte auch sagen: ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Umso erfreuter war ich bei der Planung der Tour, als ich auf das Hotel zur Marienburg stieß. Da schien die neue Zeit irgendwie schon angekommen zu sein. Jetzt stehe ich hier, komme zur Tür rein, und ich bin wirklich, wirklich begeistert. Für Moselverhältnisse wie von einem anderen Stern. Nicht kitschig-gemütlich, sondern modern und hell mit viel Holz, vielen netten Details und vor allem ganz viel Herzblut, das spüre ich schon nach wenigen Augenblicken. Ich erfahre, dass für mich heute schon ein Tisch samt 4-Gänge-Menü im Restaurant reserviert ist. Ich bin wirklich gerührt. Ich denke „da kommt die Juniorchefin“, doch es kommt anders: die Dame, ungefähr mein Alter, erzählt mir, dass sie die Geschicke schon weitgehend an ihre Töchter abgegeben hat. Ich bin erst überrascht, dann begeistert. Die Juniorchefinnen haben den Hotelneubau maßgeblich mitgestaltet und das Restaurant zeitgemäß konzipiert, und das sieht man. Es zeugt von so unglaublich viel Weitblick, so früh schon die nächste Generation mitreden zu lassen. So entstanden im Dachgeschoss des sehr schicken Neubaus die Mosel-Suiten. Eine mit Kamin, eine mit eigenem Spa im Zimmer. Alle Zimmer mit Balkon zur Mosel und der gegenüberliegenden Weinlage im Blick. Hier wurde ein wunderbarer Ort geschaffen. Die Leidenschaft schmeckt man übrigens auch. Ich genieße das wundervolle Abendessen (lokal inspirierte Küche auf fantastischem Niveau) und den dazu passenden Wein vom Familienweingut Burch, als der Küchenchef zu mir kommt und mich fragt, ob alles in Ordnung ist. Er erinnert mich irgendwie entfernt an Thomas D. und ist – wie ich später zusammenfüge – quasi der Seniorchef, also der Vater der Juniorchefinnen. Ein echt cooler Typ, höchstens mein Alter, dem es sichtlich Spaß macht, hier in der Küche Zauberkunststücke zu vollführen. Das wiederholt sich übrigens auch auf dem Frühstücksbüffet! Ich habe selten ein so gutes, überraschendes, vielfältiges, fantasievolles, glücklich machendes Hotelfrühstück erlebt. Erst nach meiner Tour lese ich die ganze Geschichte: Rudi, der Seniorchef, hat früher vorn im Altbau, wo jetzt die Rezeption ist, eine Metzgerei samt Gasthaus betrieben. Und zwar schon in dritter Generation. Dann kamen die Kinder ins Spiel, und gemeinsam beschloss man, nochmal diesen großen Schritt zu wagen und für 3 Mio. Euro dieses Hotel samt Restaurant ins Leben zu rufen. Nicht wenige haben ihn deshalb für verrückt erklärt. Ja, verrückt ist er sicher. Aber was er gemeinsam mit seiner Frau und seinen Töchtern hier geschaffen hat, zeigt, dass es sich lohnt, verrückte Dinge zu tun. Mir ist an der Mosel kein zweites Hotel wie dieses begegnet. Ich kann nur allen, die großartige Küche, guten Wein, inspirierende Wanderungen durch tolle Landschaft oder einfach nur eine entspannende Auszeit in einem richtig schönen Hotel erleben wollen, diesen Ort ans Herz legen. Liest sich wie eine Liebeserklärung? Ist es auch.