Ich bin in einer merkwürdigen Lage, die wohl weder für die Hotels noch für euch Leser nachvollziehbar ist: ich habe immer weniger Appetit auf Hotelfrühstück. Die Häuser können sich noch so viel Mühe geben – und das tun sie größtenteils. Schließlich ist das Frühstück der perfekte Moment, um sich bei den Gästen in guter Erinnerung zu halten, Liebe geht bekanntlich durch den Magen! Ein, zwei mit Leidenschaft gezauberte und nicht erwartete Dinge auf dem Frühstücksbuffet reichen meist schon, um das Herz der Gäste über den Mund durch den Bauch verlässlich zu erreichen. Ich hingegen sehne mich so langsam nach einem einfachen Toastbrot mit Marmelade in der heimischen Küche. Im Alltag mag ich das Frühstück in Hotels über alles, jetzt wird es von Hotel zu Hotel zum Sinnbild meiner nachlassenden Tour-Laune. Das fällt mir selbst sehr schwer zu akzeptieren. Aber es hat wohl etwas mit dem Überfluss und der ständigen Verfügbarkeit zu tun. Wenn du dir jeden Tag Lachs und Rührei und was weiß ich aufladen kannst, hast du sehr schnell auch keinen Bock mehr drauf.
Während mir dieser Gedanke durch den Kopf geht und ich im unvergleichlich schönen „Heyligenstaedt“ meine Sachen packe, um mich von Gießen in Richtung Frankenberg an der Eder auf den Weg zu machen, stelle ich fest, dass die Straße, die ich mich hinaufbewege, tatsächlich „Nahrungsberg“ heißt! Wie passend. In der Hitliste der mir unterwegs begegneten Straßennamen marschiert sie sofort auf Platz 2 vor – nur „Freiheit“ bei Köln ist die unangefochtene Nummer 1.
Das Höhenprofil der heute bevorstehenden 75 Kilometer verspricht „immer schön aufwärts!“, das versuche ich aber zu ignorieren und erfreue mich stattdessen an der schönen Strecke, die zunächst immer in Sichtweite des Flüsschens Lahn über hübsche Orte wie Lollar, Fronhausen und Weimar (nicht das Weimar!) führt. Am Niederweimarer See bleibe ich für eine Kaffeepause und schaue den Wakeboardern bewundernd beim Aufsteigen und Herunterfallen zu. Kurz darauf erreiche ich das verträumte Städtchen Marburg. Marburg, so scheint es, ist nicht nur eine gemütliche Studentenstadt mit vielen Altbauten, viel Grün, herrlichen Cafés und schönen Plätzen am Wasser. Marburg ist auch die Hochburg einer großen deutschen Vermögensberatungsgesellschaft, und das merkt man an jeder Ecke – nicht nur an diversen Gebäuden, sondern auch an Straßennamen. Ein sehr schöner Ort sind die Lahntreppen – große Stufen zum Sitzen direkt an der Lahn, auf denen sich im Sommer das Leben abspielt. Ich bleibe hier nur für eine kurze Pause und ziehe bald wieder los.
20 Kilometer weiter fliege ich mit meiner elektrischen Kanonenkugel durch den Ort Münchhausen, der mit dem berühmten Lügenbaron (dieser stammte wohl aus der Gegend um Hannover) jedoch nur den Namen teilt. Auch wenn ich beim Anblick der kurz hinter dem Ort mitten auf freiem Feld nutzlos herumstehenden Betonbrücke denke, dass hier wohl auch ein Unhold seine Hand im Spiel gehabt haben muss. Wahrscheinlich war hier aber nur die Brückenbaufirma schneller als die Straßenbaufirma.
Ein gutes Stündchen später erreiche ich Frankenberg – ein Örtchen auf einem Hügel in Nordhessen, irgendwo zwischen den Ausläufern des Rothaargebirges und des nordwestlichen Burgwaldes. Hier im sprichwörtlichen Herzen Deutschlands bin ich heute zu Gast im zu Relais & Châteaux gehörenden, wunderschön romantischen Hotel „Die Sonne Frankenberg“. Vor dem Haus parken ein alter Renault 4 und ein Citroën 2CV – nicht von ungefähr, denn das Haus hat eine gewisse Leidenschaft für Oldtimer. Aber auch dem anderen Ende des Zeitstrahls ist man hier sehr offen gegenüber: es gibt Gratis-Ladestationen für E-Autos, man kann hier den BMW i3 für eine Spritztour ausleihen – oder eben ein E-Bike oder sogar ein Segway. Der herzliche Empfang bei meiner Ankunft tut gut und kommt mir heute gerade recht. Auch hier überrascht man mich mit einem Tisch im Restaurant, auf den ein mehrgängiges Menü gezaubert wird. Der Fisch ist einfach fabelhaft auf den Punkt!
Auf dem Zimmer gibt’s gebrannte Mandeln in Schokolade als Gruß des Hauses. Ich beschließe, angesichts der nahen Heimkehr diese Süßigkeit als Mitbringsel einzupacken, werde aber schon wenige Augenblicke später schwach und vertilge den Riegel. Fürs Abnehmen ist es doch jetzt eh zu spät! Apropos zu spät: bis zum nächsten Mal warten muss auch der hochgelobte Spa-Bereich im Nachbarhaus, den man durch einen Tunnel unter dem Marktplatz erreicht – im Bademantel ganzjährig trockenen Fußes vom Zimmer aus. „Die Sonne Frankenberg“ ist ein wirklich schönes Hotel für Genießer inmitten herrlicher Natur. Sage und schreibe drei Restaurants (eins davon mit Michelin-Stern) warten auf kulinarische Entdecker, die hier ein erholsames Wochenende verbringen. Am besten länger als für nur einen Sonnenaufgang. Ich bin mir sicher: ich komme wieder in diese mir bisher ziemlich unbekannte Mitte Deutschlands!