Heute steht eine ganz besondere Etappe auf dem Plan: ich will heute das Meer sehen! Rügen ruft, Binz ist das Ziel, und 87 Kilometer sind der Weg – überschaubar, wie ich nach den letzten Etappen leichtsinnig denke. Entsprechend leichtfüßig trete ich nach meinem Frühstück auf der Terrasse in die Pedale. „Zeigt mir erstmal euren Amazonas des Nordens“, denke ich, während mir ein ordentlicher Gegenwind erklären will, was Meerluft heißt. So richtig nahe komme ich dem geheimnisvollen Peenetal nicht – irgendwie logisch, denke ich mittlerweile, es ist ja Europas einziges unberührtes Flusstal, und da gehen natürlich keine Radwege durch. Auf der Brücke über die Peene habe ich dann doch einen sehr schönen Blick in die Weite der Natur. Wirklich atemberaubend und wahrscheinlich am besten mit einem Boot zu erkunden. Einzig die architektonisch eher unsensibel in die Landschaft betonierte Autobahnbrücke der A20, die hier durchs Naturschutzgebiet schneidet, stört das romantische Bild etwas. Als ich mal auf dieser Brücke entlangfuhr, hatte ich diese Gedanken sicher nicht und war froh, schneller am Ziel zu sein. Es kommt eben immer auf die Perspektive an.
Meine Vorstellung von Romantik wird heute noch so manches Mal getrübt, denn die heutige Strecke geht eher über stark befahrene Bundesstraßen als über verlassene Nebenstrecken oder schön gelegene Radwege. Die Aussicht auf Fischbrötchen und den Blick aufs Meer lässt mich dies aber ebenso verschmerzen wie den wirklich nervigen Gegenwind.
Ich will nicht über den Rügendamm fahren, sondern die Fähre von Stahlbrode nach Glewitz nehmen. Die Strecke ist kürzer, und irgendwie finde ich die Überfahrt mit der Fähre auch angemessener, um auf einer Insel zu landen. Ein paar Kilometer vor der Fähre nimmt die Radfahrer-Dichte etwas zu – ich bin wohl doch nicht der Einzige mit der Idee, mit dem Rad ans Meer zu fahren. Auf der Fähre stehe ich ergriffen an der Reling und realisiere, was hier gerade los ist: ich bin mit dem Fahrrad ans Meer gefahren! Ein wirklich unglaubliches, unbeschreibliches Gefühl! Wie die erste Mondlandung, irgendwie. Zumindest für mich.
„Rügen = Fischbrötchen“ denke ich, als ich die Fähre verlasse und auf der Insel lande. Direkt an der Anlegestelle in Glewitz gibt es eine Fischbrötchenbude. Ich verschmähe sie, denke „viel zu touristisch, ich nehme die Nächste!“. Ein übler Fehler. Ich passiere das Örtchen Zicker – hier habe ich mal ein sehr schönes verlängertes Herrenwochenende mit Freunden verbracht. Ein zu Ferienwohnungen umgebauter ehemaliger Kornspeicher (psst, Geheimtipp!), Blick ins Grüne, Angeln, dann doch zum Fischverkauf fahren, Grillen. Und wohl auch ganz paar Lübzer. Ich radle hungrig an der Erinnerung vorbei, auf der Suche nach dem nächsten Fischbrötchen-Outlet. Es folgen: ein italienisches Restaurant, das auch Fischbrötchen anbietet (das kommt mir irgendwie spanisch vor, ich fahre weiter, wieder verkehrt), danach nichts, nichts und dann auch nichts. Meine Vorstellung von Rügen: viele Fischbrötchen, wenig Verkehr. Die Realität: wenig Fischbrötchen, viel Verkehr. Es geht durch Putbus, diese wunderbar majestätische Stadt mit ihren in weiß gehaltenen klassizistischen Gebäuden. Leider auch ohne direkt greifbare Fischbrötchen. In der Orangerie gibt’s gerade die Ausstellung „Raus aus der Komfortzone“ – „genau so!“, denke ich und trete nochmal ordentlich in die Pedale.
Wenige Kilometer vorm Ziel komme ich doch noch zu meinem Fischbrötchen-Glück: linker Hand gibt’s einen Karl’s Mini-Erdbeerhof – einer von mittlerweile vielen nicht nur an der Küste. Wie schön! Ich stürze mich hier nicht ins Getümmel, sondern bin schon mit dem Imbisswagen auf dem Parkplatz glücklich.
Kurz darauf erreiche ich – satt, aber mit Fisch-Zwiebel-Atem – den schönen Küstenort Binz. Hier gibt es direkt an der Strandpromenade wunderschöne alte Villen. Eine davon ist die Villa niXe, mein Zuhause für heute Nacht. Den „Hausherrn“ treffe ich im Hotel am Meer, er bringt mich in die wenige hundert Meter entfernte Villa niXe, zeigt mir mein Zimmer und gibt auch gleich noch eine Hausführung dazu – ein Traum mit Blick aufs Meer! Und mit Espressomaschine auf dem Zimmer! Wirklich toll ist sie, die Villa. Eine perfekte Kombination aus hervorragend saniertem Altbaubestand und moderner Architektur. Ein Boutique Hotel, wie man es selten findet. Ein perfektes Hideaway, um ein romantisches Wochenende mit seinem Lieblingsmenschen zu verbringen. Im Moment noch ein Geheimtipp, denn Herr Schewe hat die niXe erst wenige Wochen vor meiner Anreise „wachgeküsst“. Sie lag in der letzten Zeit im Dornröschenschlaf, und als sie nun zum Verkauf stand, musste er nicht lange überlegen. Dass er ein Händchen für mit viel Leidenschaft geführte hochwertige Hotels hat, hat er schon in seinem „Hotel am Meer“ bewiesen. Auch er ist seit vielen Jahren unser Kunde, und er war sofort dabei, als ich ihn fragte, ob er unser „Bed for good“-Projekt unterstützen würde.
Nach der kleinen Privatführung habe ich nur einen Wunsch: ab in die Ostsee! Das Hotel Villa niXe liegt direkt am Meer, nur durch die Strandpromenade vom Sand getrennt. Ich stürze mich in die Fluten und denke mit viel Dankbarkeit: allein für diesen Moment hat sich die Tour gelohnt! Mein anschließendes Willkommens-Schläfchen halte ich heute am Strand und blicke vorm Einschlafen in die unendliche Weite des blauen Himmels, der am Horizont mit dem Meer zu verschmelzen scheint. Den gleichen Ausblick habe ich wenig später im Restaurant des Hotel am Meer. Viel zu gut, um sich diesen Genuss entgehen zu lassen.
Ich schlafe mit dem guten Gefühl ein, einschließlich der heutigen Etappe insgesamt schon 1.031 Euro Spendengelder gesammelt zu haben. Die erste Woche ist rum, ich bin am Meer. Und jetzt gerade ziemlich glücklich!