Direkt nach dem Frühstück bin ich mit Frau Plath, der Hotel-Direktorin vom Strandhaus Ahrenshoop, und einem Journalisten der Ostseezeitung verabredet. Ihm erzähle ich meine Geschichte von Auszeit und Spenden, von Hotels und Kilometern. Beim letzten Fotomotiv schiebt mich Frau Plath schwungvoll an, und mit diesem Schwung radele ich gleich davon – immer entlang der Ostsee auf dem Ostsee-Radweg bis nach Kühlungsborn. Vergleichsweise entspannte 73 Kilometer liegen heute vor mir.
Heute passt wirklich alles. Die Strecke ist ein Traum, die Sonne mein ständiger Begleiter, der Wind hat heute frei. Es geht durch Wustrow, Graal-Müritz und Markgrafenheide, über Wiesen und Felder, durch Biotope und vorbei an Stränden in Richtung Rostock-Warnemünde. Alles läuft heute wie geschmiert – wobei: meine Kette quietscht etwas! Ich suche deshalb im schönen Graal-Müritz einen Fahrradhändler auf. Und erlebe ein Lehrstück an Kundenorientierung:
Ich kaufe einmal Kettenöl für 8,50 Euro, gebe an der Kasse einen Zehner und frage unmittelbar dabei „oder könnte ich auch mit Karte zahlen?“ (Bargeld auf der Tour ist immer Mangelware). Was jetzt kommt, erinnert mich bestenfalls an „Werner“-Filme: der ältere Herr (vermutlich der Chef) grummelt „och nö, jetzt habe ich den 10er ja schon“. Ich wiederhole meine Frage, ob ich alternativ auch mit Karte zahlen könnte. Er gibt mir wortlos das Wechselgeld und schließt seine Kasse. Zehner einbehalten, Gespräch beendet. Ich – leicht perplex – verlasse den Laden, um vor der Tür meine Kette zu ölen. Jetzt wird der gute Herr aktiv und eilt herbei, dass er das nicht möchte, denn dann hätte er immer Fettflecken vor seinem Laden. Ich solle doch lieber auf die Wiese (!) gehen. Sehr merkwürdig hier.
Weiter geht’s mit gut geölter Kette in Richtung „Hohe Düne“. Hier stoße ich auf den Warnow-Strom, den man mit der Fähre überquert. Es schieben sich kurz noch zwei Kreuzfahrtschiffe durchs Bild, dann setzen wir auch schon über. Auf der anderen Seite in Warnemünde angekommen, bahne ich mir meinen Weg vorbei an ziemlich vielen Touristen durch die kleine Innenstadt. Ein Kaffee-Stopp muss sein, bevor ich dem lebhaften Urlaubsort wieder den Rücken kehre und meinen Weg entlang der Ostsee fortsetze. Es geht ohne Zwischenfälle weiter über Nienhagen, vorbei am mondänen Badeörtchen Heiligendamm, hauptsächlich bestehend aus gleichnamigem Grandhotel, in dem 2007 der G8-Gipfel stattfand, das danach eine Insolvenz durchlitten hat, heute aber schöner denn je strahlt. Es ist ohne Zweifel ein ganz besonders schöner Ort, wenn auch nicht unumstritten.
Bei der Ankunft in meiner heutigen Unterkunft, dem Upstalsboom Hotelresidenz & Spa Kühlungsborn, werde ich – wie schon bei der Abfahrt – von der Ostsee-Zeitung erwartet. Gleiches Blatt, andere Lokalredaktion, andere Redakteurin, andere Fragen, gleiches Staunen, schöne Bilder, netter Artikel! Nach dieser letzten Amtshandlung checke ich entspannt ein. Auf dem Zimmer erwartet mich einmal mehr ein liebevoll angerichteter Obstteller. Das fühlt sich hier und heute alles sehr nach Urlaub an. Erst hier lerne ich die Geschichte hinter dem Upstalsboom-Chef Bodo Janssen kennen, der – einst erschüttert von vernichtenden Ergebnissen einer Mitarbeiterbefragung – ins Kloster ging und den „Upstalsboom-Weg“ fand: eine andere Art der Führung. Und ich finde, das merkt man dem Team an, wenn man hier zur Tür reinkommt. Neben all den käuflichen Qualitätskriterien eines Hotels ist ein gesundes Mitarbeiterklima unbezahlbar und gleichermaßen Gold wert. Das Hotel kann noch so schön durchdesignt sein, es kann noch so coole Features haben – wenn man als Gast von unfreundlichen Mitarbeitern „bedient“ wird, ist all das nichts mehr wert. Nicht so hier im Upstalsboom: freundliche Gesichter überall, Azubis, die man hier vor dem Haus eine Art Food Truck selber bewirtschaften lässt. Das sieht alles nach Wertschätzung der Mitarbeiter aus. Sicher auch eine der besten Voraussetzungen, um auch in Zeiten von Mitarbeiterknappheit lächeln zu können.
Als Happy-End hatte ich heute eigentlich einen Besuch des Restaurants „Seeteufel“ geplant, ein gar nicht mehr so geheimer Geheimtipp meiner Schwester, die selbst ein Ausnahmetalent am Herd ist, obwohl sie das “nur so nebenbei” macht. Gastronomen würden vor Neid erblassen, wenn sie mal bei ihr essen würden. Sie schafft es, mitten in der Nacht in einer baufälligen Küche ein Hochzeitsmenü für 30 Leute vorzubereiten, während in den Nachbartöpfen schon das Abendbuffet für 65 Leute köchelt – das Ganze so unglaublich lecker, dass alle Gäste verzückt sind und der DJ Bongo als letzter “Gast” der Feier frühmorgens heimlich noch die letzte Portion Suppe mitgehen lässt (“die war so lecker, ich konnte nicht anders!”). Hätte meine Mutter ihn nicht ertappt, wäre es wohl nie rausgekommen. Bei meiner Schwester kann man bestaunen, wohin einen echte Leidenschaft führen kann. Auch wenn es dadurch leider ziemlich schwer ist, sie kulinarisch zu begeistern. Wenn sie also schon mal ein Restaurant empfiehlt, dann muss es richtig gut sein. Leider sind drinnen wie draußen alle Plätze belegt, ich beschließe deshalb, stattdessen an der Strandpromenade direkt über die Straße vom Hotel noch ein bisschen zu flanieren und an einem Imbiss bei Garnelenspieß und Weißwein der Sonne beim Untergehen und den Möwen bei ihrem Beutezug (z.B. Garnelenspieße!) zuzusehen. Heute bin ich Urlauber! Und habe 148 Euro mehr in der Spendentasche! Ein von morgens bis abends angenehmer Tag geht zu Ende – ohne Frust, ohne Zwischenfälle, mit herrlichem Wetter, netten Menschen (mal vom Fahrrad-Muffel abgesehen) und einer sehr entspannten Strecke. Diese Dosis wäre wohl genau die richtige, damit sich die Tour dauerhaft wie Urlaub anfühlt. Aber das wird nicht auf allen Etappen so sein, soviel sei schon mal verraten.