Das Wetter ist heute eher so mäßig. Das entspricht in etwa auch meiner heutigen Verfassung. Über meiner Motivation ist heute ein Tiefdruckgebiet aufgezogen. Viel zu gern würde ich jetzt noch ein bisschen Zeit mit meiner Familie verbringen. Viel zu kurz war dieser eine Tag Auszeit. Ich pfeife jetzt auf die scheinbare Radel-Pflicht und entscheide mich stattdessen für die Mitfahrt im Familienauto – wenigstens ein Stückchen, denn die heutige Etappe wäre ohnehin so weit, dass ich, wenn nicht zur Übernachtung, dann wenigstens zum Nachladen meines Bikes eine Pause einlegen müsste: ganze 141 Kilometer. So genieße ich noch etwas Zeit zu viert, wieder entlang der Deiche übers Eider-Sperrwerk, dann auf der A23 in Richtung Hamburg. Irgendwo bei Pinneberg heißt es dann: der Abschied naht! Auf einem Parkplatz, den sich ein Baumarkt und eine chinesische Flatrate-Gastronomie teilen, lade ich mich aus. Jetzt kommt der Moment der Wahrheit, als Moritz mir bei der Montage der von mir dilettantisch zerlegten Steckachse hilft. Wir bekommen sie wieder zusammengeschraubt, irgendwie. Aber so richtig fest ist hier nix. Das Vorderrad schlackert auf der Achse herum, als wollte selbst diese sagen „bis hierhin und nicht weiter“. Wegen so einer ollen Achse kann ich jetzt natürlich nicht aufgeben.
Es nützt nichts, ich muss meinem Weg jetzt weiter folgen. Pünktlich zur Abfahrt setzt jetzt auch noch Nieselregen ein. Immerhin fällt es mir damit leichter, meine Abschiedstränen zu verbergen, die sich hier gerade ihren Weg bahnen. Da fahren sie dahin, ohne mich. Ich wäre jetzt gern bei ihnen und weiß doch, welcher Weg jetzt meiner ist. Selbst eingebrockt! Immerhin, das Tagesziel heißt Hamburg und ist damit einer der Höhepunkte meiner Tour. Ich schlackere an Pinneberg vorbei über holsteinische Alleen, an denen sich Pferdekoppeln aufreihen, in Richtung Elbe. Jetzt, bei Nieselregen, sehe ich kaum einen Menschen, alles ist mystisch-einsam, Nebel steigt auf.
Bei Schulau stoße ich auf die Elbe. Hier befindet sich auch die Schiffsbegrüßungsanlage Willkomm-Höft, die ein- und ausfahrende große Pötte mit der Nationalhymne ihres Heimatlandes grüßt. Auf 152 Länder ist man hier vorbereitet, ganze 17.000 Einträge fasst die handschriftliche Schiffskartei, aus der die „Begrüßungskapitäne“ die Eckdaten der passierenden Schiffe über Lautsprecher verkünden. So geht das hier schon seit 1952. Ich passiere ganz ohne Hymne die Grenze von Schleswig-Holstein zum Stadtstaat Hamburg und radele jetzt die Elbe entlang. Es geht vorbei am Falkensteiner Ufer. Hier liegt Uwe im Wasser. Uwe ist kein unerschrockener Badegast, sondern ein Schiffswrack. Bis eben kannte ich Uwe noch nicht, eine kurze Google-Recherche erklärt mir aber, dass das Wrack des Binnenschiffs hier schon seit 1975 liegt und damals Opfer einer Schiffskollision wurde. Uwe wurde schlagartig in zwei Teile getrennt und sank an Ort und Stelle. Ich erfahre, dass neben der „Uwe“ hier noch ein paar andere Wracks im Wasser liegen, bekannt auch als „die Schiffswracks von Blankenese“.
Der Hamburger Vorort Blankenese folgt sogleich auf meiner Tour. Hier stehen die alten Kapitänsvillen herrschaftlich herausgeputzt am Elbhang. Es ist schon ein ganz besonders mondäner Stadtteil der Hansestadt. Für mich hat er auch eine sehr persönliche Bedeutung: als ich 1997 wortwörtlich mit Sack und Pack nach Hamburg gezogen bin, habe ich hier meine erste Nacht verbracht. Nicht aber in einer dieser Villen, sondern in meinem Kombi, aber immerhin am Ende einer kleinen Stichstraße mit Blick auf die Elbe. Mein Auto teilte ich mir mit einem riesigen Röhrenmonitor, einem ebenso großen Computer, allerlei Zubehör und ein paar Reisetaschen mit dem Nötigsten. Ich kam irgendwann mitten in der Nacht in Hamburg an und konnte oder wollte meine Übernachtungsgelegenheit um die Uhrzeit nicht mehr rausklingeln. So begann meine Hamburg-Zeit damals mit Kreuzschmerzen und eher schlecht als recht ausgeschlafen, aber mit Elbblick im Morgengrauen. Es war für mich damals einer der Aufbrüche in ein neues Leben, mal wieder. Sieben Jahre habe ich dann hier gelebt, und es waren großartige Jahre.
Hamburg heißt für mich deshalb heute vor allem auch: nach Hause kommen. Es geht an der Elbe entlang, dann am herrlichen Jenischpark die Elbchaussee hinauf durch die schönen Stadtteile Othmarschen, Ottensen und Altona ins Schanzenviertel. Hier habe ich damals auf dem Schulterblatt (ja, das ist ein Straßenname!) gelebt. Und hier, gleich um die Ecke, checke ich heute bei meinen Freunden von der Superbude ein – genauer: in der Superbude Hamburg St. Pauli im Schanzenviertel. Dass die Superbude bei unserer Aktion mitmacht, war sehr schnell klar und Ehrensache. Dass ich meine Tour definitiv so plane, dass die Superbude auf meiner Strecke liegt: logisch. Die Superbude hat für mich, nein für uns alle in der Agentur, eine ganz besondere Bedeutung. Mit wenigen Kunden wächst man so zusammen, dass daraus wirklich Freundschaften werden. Mit wenigen Kunden können wir uns aus vollem Herzen so identifizieren wie mit der Superbude, die wir schon seit, nein vor Eröffnung des ersten Hauses begleiten. Seit dem ersten Logo-Entwurf arbeiten wir mit Herzblut für diesen ganz besonderen Kunden. Jörn, den Kopf hinter den Superbuden, habe ich kennengelernt, als er noch in einem anderen Hotel Nachtdienst hatte. Ich stand mit meinem Laptop bei ihm am Tresen und wir dachten uns kühne Ideen für die damals noch nicht geborene Marke „Superbude“ aus. Seitdem kenne und schätze ich ihn als unglaublich visionären Menschen, dessen scheinbar unendliche Energie ansteckend ist. Ein Workshop-Tag mit Jörn fühlt sich in etwa so an wie ein Astronautentraining in einer Zentrifuge: man weiß hinterher nicht mehr, wo einem der Kopf steht, man hatte zwischendurch aber Glücksgefühle im Bauch und Schwerelosigkeit unter den Füßen. Auch wenn seine Ideen uns immer wieder an den Rand des Wahnsinns und darüber hinaus bringen: wenn wir es dann doch schaffen, diese Ideen in die Tat umzusetzen, wird es eigentlich immer ziemlich genial. Wir sind total k.o. hinterher, aber glücklich, stolz und sehr inspiriert.
Heute Abend inspiriert mich Jörn zu einem gemeinsamen Essen um die Ecke im Karoviertel bei den Maui Poke Guys. Es gibt leckere hawaiianische Bowls mit so klangvollen Namen wie Mahalo Pulled Chicken oder Aloha Sweet Tuna und dazu natürlich: ein Astra. Ich habe lange Zeit selbst hier in der Gegend gelebt und empfinde sie auch heute noch als sehr inspirierend, denn hier zwischen türkischen Gemüseläden, portugiesischen Cafés und hippen Agenturen entstehen immer wieder neue Läden, Styles, Geschäftsideen, die es erst nach zig Jahren (wenn überhaupt) in die Provinz schaffen. Wenn man in einer Stadt wie Dresden wohnt, ist es überlebenswichtig, immer mal wieder nach Hamburg zu fahren, sonst droht man zu verstauben.
Nach unserem Abendessen schiebe ich noch mein Fahrrad in den Superbude-Fahrradschuppen und mich in meine Bude. Mein Spenden-Zeiger steht mittlerweile bei 2.347 Euro, denn auch die Superbude hat sich nicht lumpen lassen und ihre Spende großzügig aufgerundet. Supergut! Mein Trikot hängt am Garderobenpömpel, mein Akku lädt friedlich an der Steckdose. Gute Nacht, du geliebtes Hamburg!
Update April 2020: Die Superbude ist natürlich auch bei unserer Deutschlandurlaub.jetzt-Aktion dabei und hat sich ein wirklich schönes Angebot ausgedacht (ich habe es sofort gebucht!).