Heute geht es auf nach Schleswig-Holstein. Mein Ziel: Das Hotel „Altes Stahlwerk“ in Neumünster, so ziemlich genau in der Mitte zwischen Ost- und Nordsee. Und definitiv eine der Ecken, von denen ich so gar keine Vorstellung habe. Das heißt: nicht diese Art von Neugier, weil man sich in unbekanntes Terrain begibt, sondern eher die Sorge, man würde jetzt den luftleeren Raum betreten. Mir ist klar, dass das, was ich hier an der Ostsee hatte, schon etwas Besonderes war. Und so macht sich zum ersten Mal so eine Art Abschieds-Melancholie breit. Spätestens in Scharbeutz werde ich abbiegen und die Ostsee hinter mir lassen.
Doch der Reihe nach. Der Tag startet sonnig mit einem wunderbaren Frühstück auf der Terrasse des Hotels. Als mittlerweile routinierter Profi-Packtaschenpacker habe ich schnell meine Siebensachen gesattelt und starte noch ein letztes Mal in Richtung Mecklenburger Weite. Nach einer reichlichen Stunde erreiche ich das zu Lübeck gehörende Travemünde. Mit der Fähre geht es über die Trave. Auf der anderen Seite erwartet mich eine Altstadt in Backsteingotik – gleichzeitig verlasse ich in dem Augenblick Mecklenburg-Vorpommern und setze über nach Schleswig-Holstein. Es ist eine kurze Fährfahrt, und doch ist dies noch immer die Grenze zwischen zwei Welten. Hier verlief bis 1989 die innerdeutsche Grenze, und noch heute merkt man den Unterschied zwischen den erst nach der Wende wieder aufgeblühten ostdeutschen Badeorten (mit hier und da einer Bausünde aus den pink-türkisen 90ern) und den Ostseeorten im ehemaligen Westen. Hier trifft man eher auf Bausünden aus den 70er/80er Jahren, aber auch auf viele mondäne Anwesen einen Steinwurf vom Meer entfernt.
Ich radele die Küste von Travemünde über Niendorf zum Timmendorfer Strand. Hier streife ich eher zufällig auch das Barefoot Hotel, mit dem Til Schweiger vor Kurzem seine Karriere als Hotelier begann. Das Haus erinnert mich zumindest von außen ein kleines bisschen an das “Beach Motel” oder die “Zweite Heimat” in Sankt Peter-Ording. Vorbei an weiteren Ostseevillen geht’s weiter nach Scharbeutz. Als ich bis 2004 in Hamburg wohnte, bin ich öfter mal nach der Arbeit hierher „geflogen“ – über die Autobahn war man in unter einer Stunde hier. Damals empfand ich die Ecke als ruhig und erholsam, heute habe ich das Gefühl, hier ist eindeutig zu viel Tourismus, zumindest für mich. Was vielleicht auch an den Etappen durchs streckenweise menschenleere Mecklenburg liegt. In Scharbeutz mache ich nochmal eine Pause, um mich von der Ostsee zu verabschieden. So euphorisch ich sie bei der Überfahrt auf Rügen begrüßt habe, so melancholisch lässt sie mich jetzt wieder ziehen. Ich biege links ab und lasse sie hinter mir. Vor mir liegt ein Radweg neben einer Fernverkehrsstraße und ein Niemandsland zwischen zwei Meeren.
Die restliche Fahrt bis Neumünster hat keine nennenswerten Highlights zu bieten. Gegenwind, LKWs, nordische Gehöfte, Landwirtschaft. Ganz schön, aber eher spröde als charmant. Neumünster begrüßt mich mit einem riesigen Stadtfest. Das heißt für mich: zwischen schon eine Weile Feiernden hindurchzirkeln, vorbei an Frittierfett und Bühnen mit viel zu lauter Volksfest-Musik. Irgendwann bin ich durch und erreiche das Alte Stahlwerk. Ein Hotel in einem alten, großen Backsteingebäude, innen mit modernem Industrial Design. Es erinnert mich hier und da ans Gastwerk Hotel in Hamburg, mit dem für mich alles anfing.
Den Abend beende ich im Hotelrestaurant, denn aufs Stadtfest habe ich heute keine Lust mehr. Viel größer wird so langsam die Vorfreude auf den nächsten Tag: es geht ins Kubatzki, ein Yoga-Hotel in St. Peter-Ording. Vor allem aber wird mich morgen meine Familie übers Wochenende besuchen. Meinen ersten und einzigen freien Tag der Tour werde ich mit ihnen an der Nordsee verbringen. Ich will morgen früh los und bin deshalb heute mal besonders früh im Bett.